GER: Ich bin genervt. Es regnet jeden Tag. Seit ich hier bin habe ich noch keinen Tag erlebt, wo es mal nicht geregnet hat. Und heute regnet es ganz besonders. Ich habe angefangen diese Sätze zu schreiben da fängt es auch noch an heftig zu gewittern und wie aus Eimern zu gießen. Was für ein ungemütlicher Tag.
Die Küche und das Wohnzimmer sind leer, wahrscheinlich haben sich meine anderen Mitbewohner auch in ihre Zimmer verkrochen und schlafen.
Ich denke daran, was ich an so einem grauen Tag in Berlin wohl machen würde. Eigentlich auch nichts anderes außer zu Hause mit dem Laptop auf dem Schoß im Bett rumliegen. In Berlin liebe ich diese Tage. Hier fühl ich mich gerade nur einsam.
Doch ab und zu habe ich Glück und für einen kleinen Moment scheint hier dann mal die Sonne. Diese Momente koste ich aus: Ich renne runter zu meinem blauen Fahrrad und fahre einfach los. Ziellos. Wohin ist doch egal, denn zu entdecken gibt es genug. Mein blaues Fahrrad: Es steht für Freiheit und Unabhängigkeit.
Ein super netter Koreaner, der jetzt mein Nachbar ist, hat mir geholfen, meinen Koffer auf mein Zimmer zu tragen. Zu Hause in Berlin hab ich schon Theater gemacht, dass dieser Koffer von Aldi nicht nur zu klein ist, sondern auch irgendwie total klapprig aussieht. „Ja Lani, sei einfach vorsichtig, wenn du ihn ziehst.“ Nach gerade mal 10 Minuten hat der arme Koreaner es geschafft, den Billigkoffer zu schrotten und hat den Plastik-Henkel abgerissen. Der tut mir Leid, er fühlt sich jetzt total schuldig und bringt mir seit dem als Entschädigung immer Muffins mit und lässt mich sein W-Lan mit benutzen.
Aber schön, dass es hier schon Bettdecke und Laken gab, die auch noch ungeöffnet in ihrer Originalverpackung waren. Da weiß man wenigstens, dass die frisch sind. Scheiße nur, dass die Decke nicht viel dicker als 4-lagiges Toilettenpapier ist und ich demnächst mir vermutlich ne neue Bettdecke kaufen muss, weil ich sonst nachts erfriere. Ist halt Kacke, weil jetzt schon wieder Kosten anfalle, die nicht unbedingt hätten sein müssen.
Ich frage mich auch, wovon ich mich jetzt 1 Semester lang ernähren soll. Zum Kochen bin ich zu faul und Essen kaufen ist auch ziemlich teuer. Zu Hause brauchte ich ja nur in die Küche gehen. Heute ernähre ich mich von einer Schale Weintrauben, die ich unterwegs gekauft habe. Ich hoffe der Koreaner hat immer noch so ein schlechtes Gewissen, vielleicht kocht er dann wieder was. Und die nächsten 6 Monate dann auch. Ne Scherz, ich will ihn ja nicht ausnutzen. Jetzt wirds endlich was mit „Skinny Girl, Hip Bones und Thigh Gap“ bei mir.
Hier ganz in der Nähe ist ein Flughafen, weshalb alle 5 Minuten ungefähr ein Flugzeug über uns rüberfliegt. Am 1. Tag war ich noch total fasziniert davon, wie nah sie noch über der Erde sind. Mittlerweile bin ich fast am durchdrehen, weil ich schon Gänsehaut bekomme, wenn ich das Flugzeug von weitem kommen höre.
Das Gebäude, in dem ich wohne, wird liebevoll „Communist Building“ genannt, weil wir hier die Küche, Waschraum und Sanitären Anlagen teilen müssen. Zudem ist unsers auch von allen am herunter gekommensten. Die anderen Häuser werden normal nach ihrer Außenfarbe benannt „Green Building“ oder „Yellow Building“. Zur Zeit finde ich es noch ganz witzig, dass der Wasserhahn fast auseinander fällt und dass mein chinesischer Mitbewohner ab und zu mit offener Tür pinkelt. Ich bleibe ja nicht für immer hier und umso mehr freu ich mich dann auf mein luxuriöses zu Hause in Berlin.
GER: Es ist 04:30 und ich sehe schon fremde Ortsschilder. Ich komme langsam zu mir und merke, dass ich aus der Fresse nach Morgenatem stinke. Daraus schlussfolgere ich, dass ich es anscheinend geschafft hab ein wenig zu dösen. 10 Stunden Busfahrt klingt super beschissen, ist es auch definitiv. Aber war mit nur 29€ der günstigste Weg, um von Berlin nach Amsterdam mit genügend Gepäck zu kommen. Eigentlich sollte der Bus W-Lan haben. Gabs dann aber leider doch nicht, wäre ja auch viel zu schön gewesen. Aber ich kann eh nicht während der Fahrt lange auf einen Bildschirm starren oder ein Buch lesen, weil mir sonst schlecht wird. Stattdessen läuft die ganze Zeit über das nervige Radio, habe mich aber nicht getraut den Fahrer zu fragen, ob er das ausmachen kann. Hinter mir sitzt einer, der die ganze Zeit im Schlaf beim Atmen ein Pfeifgeräusch durch die Nase erzeugt. Ohropax regeln das, aber leider auch nur unzureichend.
Ich merke, dass meine Nase irgendwie eingefroren ist und denke mir, dass ne kleine Decke ganz nice gewesen wäre für die Fahrt.
Im Bus sitzen einige Klischee-Kiffer, die schon danach aussehen, als wenn sie ein paar Tage in Amsterdam bisschen „chillen“ wollen. Und unter all den Leuten sitze ich: ne crazy Asiatin, die die ganze Zeit rumheult und viel zu viel Gepäck dabei hat. Von allen bin ich wahrscheinlich auch eine der wenigen, die nicht nach Amsterdam fährt, nur um sich zu zurauchen.
Vor der Abfahrt sind meine Eltern immer wieder zu mir in den Bus reingerannt, um zu checken, ob alles in Ordnung ist. Mutti therapiert mich damit, dass ich auf meine Wertsachen aufpassen soll und Daddy hängt mir meine Jacke auf. Mensch Leute, ich werde bald 21. „Ich krieg das schon alleine hin“ will ich sagen, aber in diesem Moment frage ich mich, ob ich eigentlich wirklich schon reif genug für sowas bin.
Ja Lani, heul jetzt noch ein bisschen rum im Bus, solange es noch niemanden interessiert. Aber danach reiß dich zusammen, du bist gleich da.
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